MILAN MIHALJEVIĆ (ZAGREB)

Die Jer-Zeichen in den šiltesten
kroatisch-glagolitischen Fragmenten

Es ist bekannt, daB die zwei altkirchenslavischen Halbvokale , Jer“ und
Jdor“ im kroatischen Kirchenslavisch zuerst zusammenfielen und dann dieser
neuentstandene Vokal entweder verlorenging oder als a vokalisiert wurde, je
nachdem, ob er schwach oder stark war. Das heift, da& wir filr das Kroatisch-
Kirchenslavische meistens mit einem Jer-Phonem (fiir die Ubergangsperiode)
oder mit gar keinem (fiir die sogenannte Goldene Zeit) rechnen kčnnen. Jedoch
kommen in den kroatischen kirchenslavischen Handschriften insgesamt vier
verschiedene Jer-Vertretungen vor: ,Jor“, ,,Jer“, der ,,Štapić“ und der Apo-
stroph. In diesem Aufsatz will ich ihre Funktion und ihr Verhšltnis zur Lau-
tung bestimmen, die Chronologie ihres Auftretens in den einzelnen Funktio-
nen, wie auch regionale Unterschiede und — wenn moglich — verschiedene
Schreibschulen feststellen. Die Umsetzung dieser Aufgabe ist fiir die Datierung
und Lokalisierung der Handschriften wichtig. Wenn wir aufgrund bekannter
Handschriften aus bestimmten Gebieten und Schulen gewisse Regeln abgeleitet
haben, kčnnen wir aufgrund dieser Regeln weniger sichere Handschriften ge-
nauer datieren und weniger bekannte Gebiete und Schulen feststellen. Beson-
ders wichtig und interessant sind dafiir die Handschriften der sogenannten Uber-
gangsperiode, d. h. vom Ende des 11. Jahrhunderts bis zum Beginn des 14.
Jahrhunderts. Bekanntlich haben sich aus dieser Zeit kcine vollstindigen Kodizes
erhalten, sondem nur kleine Fragmente. Ich habe 24 Fragmente aus dieser
Periode untersucht und will im Folgenden die Resultate meiner Forschung prii-
sentieren.

Aus dem (11.) / 12. Jahrhundert wurden fiinf Fragmente beriicksichtigt.
Das Budapester Fragment! ist die einzige kroatisch-glagoliti-
sche Handschrift, in der noch beide traditionellen Jer-Zeichen, Jor und Jer, vor-
kommen. Allerdings kommt das Jer nur einmal vor?, und es gibt schon vier
Bcispiele der Substitution des Jers durch Jor.? In diesem Fragment ist auch

! KmRALY 1955, REINHART-TURILOV 1990.
2 im Wort črvvi auf Blatt 1v.
3 Vgl. KIRALY_1955:325.